Bereits 1911 hatte die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG der jungen Stadt Buer angeboten, ausgehend von ihrem Betriebshof an der Breddestraße eine Straßenbahnstrecke über Sutum nach Schalke zu bauen. Die Pläne wurden nicht weiterverfolgt. Stattdessen beteiligte sich Buer an den Straßenbahnprojekten des Kreises Recklinghausen.
Dies änderte sich 1920 mit der Gründung des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk (SVR), der sowohl den Ausbau der damaligen Gelsenkirchener Straße (heute Kurt-Schumacher-Straße) zur Verbandsstraße als auch den Bau einer Schnellstraßenbahnlinie zwischen Buer und Gelsenkirchen anregte. Diese wurde von Anfang an als Gemeinschaftslinie konzipiert.
PILOTPROJEKT
Auch die Stadtverordneten in Buer hatten inzwischen stärkeres Interesse an der Verbindung. Um die Nachfrage zu überprüfen, wurde am 15. Oktober 1920 eine Omnibuslinie von Gladbeck über Buer nach Schalke eingerichtet. Für diese erste Omnibuslinie und eine weitere Linie von Herten über Langenbochum, Westerholt und Polsum nach Marl beschafften die Vestischen Kleinbahnen nach einem Bericht der Buerschen Zeitung vom 14. Oktober 1920 insgesamt 14 Autobusse und Anhänger. Diese Fahrzeuge hatten 14 Sitz- und 10 Stehplätze. Darüber hinaus wurden 30 Chauffeure angestellt. Jeder Omnibuszug wurde mit einem Fahrer und zwei Schaffnern besetzt.
Bereits am 31. Januar 1921 wurde der Omnibusverkehr zwischen Buer und Schalke wieder eingestellt. Das Straßenbahnprojekt wurde demgegenüber weiterverfolgt. Eine wichtige Vorleistung war die Anlage einer Gleisverbindung zwischen der Trasse der Vestischen Kleinbahnen in der De-La-Chevallerie-Straße und den Gleisen der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen am Bueraner Rathaus. Die dafür benötigten kommunalen Mittel in Höhe von rund 500.000 Mark wurden in der Stadtverordnetenversammlung am 8. März 1922 freigegeben.
Eine weitere Vorleistung war der Bau einer neuen Straßenverbindung vom neuen Rathaus bis zum Übergang der Breddestraße in die Gelsenkirchener Straße. Es war geplant, die neue Strecke auf der Ostseite der Verbandsstraße auf eigenem Bahnkörper bis zu den Brücken von Emscher und Rhein-Herne-Kanal zu führen. An der Emscher lag die Stadtgrenze zwischen Buer und Gelsenkirchen.
Für die Weiterführung der Trasse nach Schalke war die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG verantwortlich. Sie hatte bereits 1912 eine rund 600 Meter lange, doppelgleisige Trasse in der Sutumer Straße gebaut – im Vertrauen darauf, dass die Stadt Buer der vorgeschlagenen Verbindung von Schalke nach Buer zustimmen würde.
ZWEI JAHRE BAUZEIT
Mit den Bauarbeiten für die Verbandsstraße und die neue Straßenbahnstrecke wurde 1925 begonnen. Auf Luftaufnahmen des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk sind die Baustellen gut zu erkennen. Die letzten Gleisbauarbeiten – sie betrafen die Herstellung der Gleisverbindungen an der Kanalbrücke in Sutum – wurden am 13. Dezember 1927 ausgeführt. An diesem Tag fand auch die erste Fahrt statt, die der Direktor der Vestischen Kleinbahnen, der ausführende Ingenieur und der Bauunternehmer Fritz Jäger mit einem Schienenschleifwagen unternahmen.
Nach der technischen Abnahme am 10. Dezember wurde die 3,9 Kilometer lange Strecke vom Rathaus in Buer zur Eisenbahnkreuzung am Bahnhof Schalke Nord am 18. Dezember 1927 durch den Regierungspräsidenten freigegeben und offiziell in Betrieb genommen. An diesem winterlichen Tag entstand am Rathaus in Buer das hier als Beitragsbild gezeigte Foto (Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen).
Von der Buerschen Zeitung wurde die Inbetriebnahme der Strecke bei Temperaturen von minus 10 Grad als „Weihnachtsgeschenk“ gefeiert. Der Streckenverlauf durch die noch unbebaute Fläche zwischen dem Haus Berge und der Emscher wurde damals in geradezu epischer Breite beschrieben. Kritik übte der Journalist vor allem an der Reichsbahn, die zur Eröffnungsfahrt keinen Vertreter entsandt hatte, aber auch an der Stadt Gelsenkirchen, die am Bahnhof Schalke Nord lediglich bereit sei, einen schmalen Tunnel für die Durchleitung der Straßenbahn nach Schalke und Gelsenkirchen zu finanzieren.
Da am Bahnhof Schalke Nord eine Verbindung zum Gelsenkirchener Netz fehlte, wurden anfangs nur Fahrzeuge der Vestischen Kleinbahnen eingesetzt. Die Abnahmefahrt wurde mit Triebwagen 126 durchgeführt. Inwieweit das ebenfalls am Eröffnungstag aufgenommene Foto mit Triebwagen 136 vor der Wirtschaft Stein ein offzielles Bild ist, bleibt unklar. Im Bericht über die Abnahmefahrt wird ein offizieller Fotohalt nicht erwähnt (Sammlung Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen).
LINIE 12
In Verlängerung der Pendellinie Buer Rathaus – Hassel erhielt die neue Strecke die Linienbezeichnung 12. Weil der vorgesehene Gemeinschaftsverkehr mit der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG nicht möglich war, wurde die am 26. Juli 1925 eingerichtete Gemeinschaftsomnibuslinie Buer – Gelsenkirchen auch nach der Inbetriebnahme der Straßenbahn einstweilen beibehalten.
Erst im Sommer 1928 war die Stadt Gelsenkirchen bereit, anstelle eines schmalen Tunnels nun doch eine breitere Unterführung am Bahnhof Schalke-Nord zu finanzieren. Um das Vorhaben ausführen zu können waren gleichwohl noch Verhandlungen mit mehreren Anliegern notwendig, deren Häuser dem Brückenbau im Weg standen. Erst im Sommer 1929 waren die Voraussetzungen für eine Fortführung der Arbeiten geschaffen: Im Juli wurde die Straße vermessen, im August konnte die Firma Paul Schmidt & Söhne mit dem Bau der Unterführung beginnen. Da während dieser Zeit kein Fahrzeugverkehr möglich war, musste die Omnibuslinie am 20. August eingestellt werden.
GEMEINSCHAFTSVERKEHR
Nach gut einem Jahr Bauzeit waren die Arbeiten an der Brücke und an der Fortsetzung der Straßenbahntrasse am 19. September 1930 abgeschlossen. Auch die landespolizeiliche Abnahme war erfolgreich. Am 25. September 1930 fuhr die Linie 12 der Vestischen Kleinbahnen erstmals bis zum Gelsenkirchener Hauptbahnhof. Ihr Linienweg führt inzwischen von Buer über Hassel, Polsum, Marl, Hüls und Sinsen bis zum Recklinghausener Hauptbahnhof.
Die Linie 1 (Bochum Hauptbahnhof – Wattenscheid – Bahnhof Schalke Nord) der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG wurde vom 30. November 1930 an über ihre bisherige Endstelle bis Hassel verlängert. Ab dem 8. September 1935 führte sie das Liniensignal 1 a, ab dem 1. Februar 1938 dann das bis heute übliche Liniensignal 2.
VERKAUF
Auf Druck der Stadt Gelsenkirchen wurde die Strecke von Buer nach Schalke mit Wirkung zum 15. August 1939 an die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG verkauft. Allein die Wendeanlage auf der Westseite des Bueraner Rathaus blieb im Besitz der Vestischen Kleinbahnen.
Der Gemeinschaftsverkehr wurde am 1. Oktober 1939 eingestellt. Die Linie 12 wurde nunmehr auf die Relation Recklinghausen Hauptbahnhof – Buer Rathaus verkürzt.
AUSBAU
In den 1960er-Jahren wurde die Kurt-Schumacher-Straße im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Schalke und Buer durchgehend vierspurig ausgebaut. Die Straßenbahn erhielt in diesem Zusammenhang anstelle der Schnellbahntrasse der Vestischen Kleinbahnen einen neuen, nach Stadtbahnstandard angelegten eigenen Bahnkörper in Mittellage.
In Höhe des zur Weltmeisterschaft gebauten Parkstadions sollte zunächst ein neuer Betriebshof für den Gelsenkirchener Betrieb der BOGESTRA entstehen. Letztlich wurde jedoch der traditionsreiche Standort an der Hochstraße beibehalten. An seiner Stelle wurde für die bei den Fußballspielen eingesetzten Einsatzwagen eine moderne Umsetzanlage geschaffen.
Im Rahmen von Sonderfahrten kehrten einzelne Fahrzeuge der Vestischen Straßenbahnen auch nach dem Zweiten Weltkrieg regelmäßig auf die einst modernste Strecke der Vestischen Kleinbahnen zurück. Die Verbindung von Buer nach Schalke ist bis heute als Teilstück der Linie 302 in Betrieb.
Weiterführende Informationen zum Gelsenkirchener Streckenabschnitt der Linie 302 finden Sie unter der Rubrik NACH BOCHUM auf meiner Gelsenkirchener Website.