NACH HERNE

Die älteste und traditionsreichste Straßenbahnverbindung im späteren Netz der Vestischen Strassenbahnen war die Strecke von Herne nach Recklinghausen. Sie wurde bereits am 26. Februar 1898 durch die Straßenbahn Herne – Baukau -Recklinghausen zwischen dem Bahnhof Herne und dem Viehtor in Recklinghausen eröffnet. Den entsprechenden Vertrag hatten die beteiligten Städte und Gemeinden bereits am 4. Februar 1896 eröffnet.

Die Vorgeschichte und Entwicklung der Gesellschaft beschreibe ich im Detail in mehreren Kapiteln auf meiner Herner Website „Zwischen Kohle und Kirmes“. In diesem Kapitel werde ich deshalb nur auf die wichtigsten Momente aus der Geschichte der Städteverbindung eingehen.

BAUBEGINN 1897

Mit dem Bau der Strecke wurde die Union Elektricitäts-Gesellschaft Berlin beauftragt. Die Betriebsführung sollte – abweichend von der ursprünglichen Ausschreibung – durch die beteiligten Gemeinden als kommunaler Eigenbetrieb erfolgten. Anfang Mai 1897 begannen die Bauarbeiten für die Gleise und die Betriebsanlagen.

Die Streckenführung folgte der Route, auf der bereits seit 1888 viermal täglich der Pferdeomnibus unterwegs war: Sie begann am Viehtor in Recklinghausen. Von dort verlief die Trasse in eingleisiger Seitenlage über Herner Straße bis nach Bruch. Dabei passierte sie nach der Kreuzung der Bahnstrecke von Herne nach Recklinghausen die Schachtanlage General Blumenthal I/II. Die Teufarbeiten für das Steinkohlebergwerk hatten 1873 begonnen. Die Förderung wurde 1879 aufgenommen. Erst 1992 wurde der Betrieb eingestellt.

In Höhe der heutigen Kreuzung mit der Autobahn A 2 erreichte die Strecke das Gebiet des Emscherbruchs. Es zog sich bis zum Wasserschloss Strünkede. Nach 1880 war auf dem Recklinghausener Teil des Emscherbruchs ein neues Wohngebiet entstanden, das sich auf historischen Postkarten gerne als „Bruch in Westfalen“ oder auch „Bruch i.W.“ bezeichnete. Nach 1904 setzte sich dann die Bezeichnung „Recklinghausen-Süd“ durch. Das westliche Wohngebiet von Recklinghausen-Süd wird als „Grullbad“ bezeichnet, der östliche, an den Stadtteil Röllinghausen angrenzende Teil nach der dort liegenden Schachtanlage als „König Ludwig“.

Die Straße, die das Straßenbahngleis in westlicher Seitenlage aufnahm, hieß jetzt Strünkeder Straße. Seit 1926 trägt sie die Bezeichnung Bochumer Straße.

Im Norden wurde Bruch i.W. ursprünglich von der Emscher begrenzt. Sie bildete die Grenze zur Gemeinde Baukau. Mit der kommunalen Neuordnung von 1926 wurde die Nordgrenze der Stadt Recklinghausen dann bis an den 1914 eröffneten Rhein-Herne-Kanal verschoben. Nach der Vorbeifahrt am traditionsreichen Wasserschloss Strünkede erreichte die Bahn das Zentrum der unmittelbar an Herne angrenzenden Gemeinde Baukau. Über die Bahnhofstraße wurde die Endstelle am Bahnhof Herne erreicht.

Ausweichen gab es an den Endstellen in Recklinghausen und Herne. Im Streckenverlauf gab es am Wirtshaus Sasse, an der Einmündung der König-Ludwig-Straße sowie an der Einmündung der Bahnhofstraße in Bruch. Der Betriebshof der Bahn, die sogenannte „Kraftstation“, befand sich auf einem weitläufigen Grundstück in Recklinghausen-Süd an der heutigen Gasstraße, unmittelbar vor der Kreuzung mit der Anschlussbahn der Zeche König Ludwig auf der westlichen Straßenseite.

VERLÄNGERUNG IN RECKLINGHAUSEN

Die Straßenbahnstrecke wurde von der Bevölkerung gut angenommen. Um anstelle des ursprünglichen 15-Minuten-Taktes einen 10-Minuten-Takt anzubieten, wurden im Frühjahr 1902 weitere Ausweichen geschaffen: in Höhe von Schloß Strünkede (Weidestraße), in Bruch (Neumarkt) und unmittelbar vor der Zeche General Blumenthal. Die Ausweiche König-Ludwig-Straße wurde nach Norden in Richtung Betriebshof verschoben (Berghäuser Straße). Die Kreuzungsmöglichkeit am Wirtshaus Sasse nach Süden bis zur Einmündung der Blitzkuhlstraße.

Am 1. November 1902 wurde die Strecke über die nördliche Endstelle hinaus über die Breitestraße bis zur Westseite des Recklinghausener Marktes verlängert. Am 16. Juni 1904 wurde die Weiterführung der Straßenbahn vom Markt über die Kunibertistraße zum Kunibertitor genehmigt. Nach etwas mehr als einem halben Jahr Bauzeit konnte auch diese Ergänzung am 3. Februar 1905 eröffnet werden.

Der Anschluss des Bahnhofs erfolgte am 1. November 1908 über die Bahnhofs-Allee (bis 1962 Viktoriastraße, heute Große-Pferdekamp-Straße). Noch am gleichen Tag fuhren die Wagen der Herner Linie bis Recklinghausener Bahnhof. Ab dem 1. April 1909 wurde die neue Trasse in der Bahnhofs-Allee auch von der Recklinghausener Strassenbahn für die Linie nach Suderwich genutzt. Die Streckenlänge lag nunmehr bei 9,4 Kilometern.

Nach der Eingemeindung von Baukau nach Herne am 1. April 1908 änderte die Bahn ihre Bezeichnung in Straßenbahn Herne – Recklinghausen. Sie gehörte damals zu den profitabelsten Nahverkehrsverbindungen im mittleren Ruhrgebiet.

VESTISCHE KLEINBAHNEN

Am 2. Juni 1923 wurde die Betriebsführung der Straßenbahn Herne – Recklinghausen von den Anteilseignern an die Vestische Kleinbahnen GmbH übergeben. Die neue Betriebsführerin trieb insbesondere den durchgehend zweigleisigen Ausbau der stark frequentierten Verbindung voran. Als erstes Teilstück wurde 1924 und 1925 die auf eigenem Bahnkörper verlegte Trasse von der Zeche General Blumenthal bis zur König-Ludwig-Bahn zweigleisig ausgebaut. Die einer Überlandstrecke ähnelnde Trassenführung blieb hier bis zur Einstellung der Straßenbahn im Jahr 1982 erhalten.

Bis 1928 wurde auch der zweigleisige Ausbau der im Straßenplanum verlegten Abschnitte in Recklinghausen, Recklinghausen-Süd und Herne-Baukau abgeschlossen. Selbst die enge Eisenbahnüberführung an der Zeche Blumenthal wurde doppelgleisig ausgeführt. Sie blieb bis zuletztein kritisches Nadelöhr. An der Bismarckstraße in Baukau erfolgte der Anschluss an das bereits 1921 ausgebaute Streckenstück zum Herner Bahnhof. In Recklinghausen trennte sich die Straßenbahn von ihrer Innenstadtverbindung. Die nur mit geringer Geschwindigkeit passierbare Strecke über die Breitestrasse, den Markt und die Kunibertistraße wurde am 19. Mai 1922 zugunsten einer neuen Streckenführung vom Viehtor über den Kaiserwall zum Recklinghausener Hauptbahnhof aufgegeben.

GEMEINSCHAFTSVERKEHR

Im Zusammenhang mit der vom Siedlungsverband Ruhrgebiet (SVR) angeregten Kooperation der Verkehrsbetriebe im Ruhrgebiet vereinbarten die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG (BOGESTRA) und die Straßenbahn Herne – Recklinghausen einen Gemeinschaftsverkehr zwischen Herne und Hattingen.

Eine wichtige Voraussetzung dafür war der Umbau der Oberleitungsanlagen zwischen Herne und Recklinghausen auf den in Bochum üblichen Betrieb mit Schleifbügeln. Die Fahrzeuge der Straßenbahn Herne – Recklinghausen erhielten Scherenstromabnehmer und „Albert“-Kupplungen.

Am 20. Juni 1928 konnte der „Durchgangsverkehr“ zwischen Recklinghausen und Hattingen aufgenommen werden. Da die Motorisierung der von der Straßenbahn Herne – Recklinghausen eingesetzten Vierachser für die steigungsreiche Fahrt nach Hattingen nicht ausreichte, konnten diese gleichwohl nur bis zum Bahnhof Bochum-Süd fahren. Die BOGESTRA bezeichnete ihre zwischen Recklinghausen und Hattingen fahrenden Wagen als Linie 2. Die Straßenbahn Herne – Recklinghausen behielt anfangs für ihre Kurse das Liniensignal „A“ bei. Vom 20. Juli 1928 an verwendete die BOGESTRA dann für die von Hattingen nach Recklinghausen fahrenden Wagen die Linienbezeichnung „8“. Die von Bochum-Süd nach Recklinghausen fahrenden Wagen der Straßenbahn Herne – Recklinghausen fuhren als „8 a“. Ab dem 1. Oktober 1936 wurde auch die Bezeichnung „8 a“ aufgegeben und durch die neue Liniennummer 18 ersetzt.

VERKAUF

Am 28. Oktober 1939 verkauften die Gesellschafter Anlagen und Fahrzeuge der Straßenbahn Herne – Recklinghausen an die Vestische Kleinbahnen GmbH. Die 80 Beschäftigten wurden übernommen. Der Betriebshof an der Bochumer Straße wurde jedoch stillgelegt. Der Betriebshof Recklinghausen, der aufgrund der nicht verwirklichten Verbindung von Recklinghausen über Hochlarmark und Recklinghausen-Süd nach Suderwich überdimensioniert war, konnte dadurch besser ausgenutzt werden.

NEUBEGINN

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der Gemeinschaftsverkehr aufgrund der zerstörten Kanalbrücke zwischen Herne und Recklinghausen anfangs nicht wieder aufgenommen werden. Die Vestischen Straßenbahnen, die 1940 im Zuge einer neuen Namensgebung die Vestischen Kleinbahnen abgelöst hatten, nahmen am 14. Oktober 1945 dank einer von der britischen Armee errichteten Behelfsbrücke den Linienverkehr nach Herne wieder auf.

Der Gemeinschaftsverkehr mit der BOGESTRA kehrte am 1. März 1950 zurück. Er wurde im Süden über Hattingen nach Blankenstein – als Linie 8 – und Dahlhausen – als Linie 18 – ausgeweitet. Auf der Linie 8 kamen dabei ausschließlich Bochumer Triebwagen zum Einsatz.

Zwischen 1951 und 1955 war der Gemeinschaftsverkehr am Kanal aufgrund des notwendigen Brückenneubaus zeitweise unterbrochen. Auch im Zusammenhang mit dem in den 1970er-Jahren aufgenommenen U-Bahn-Bau in Herne wurde die Linie zeitweise geteilt.

Am 29. Mai 1979 wurde in Bochum zwischen der Haltestelle Bergmannsheil an der Strecke nach Hattingen und Dahlhausen und dem Hauptbahnhof der erste Stadtbahntunner eröffnet. Fortan verkehrte die Gemeinschaftslinie in Bochum nicht mehr zum Bahnhof Dahlhausen sondern zur Ruhr-Universität und zur Endstelle Hustadt. Die Linie erhielt die Liniennummer 5. Nach dem Start des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR) am 1. Januar 1980 wurde sie in „305“ umbenannt.

EINSTELLUNG

Am 10. Juni 1981 zeichnete sich die Einstellung des Straßenbahnverkehrs bei der Vestischen Straßenbahnen GmbH ab. An diesem Tag wurde die Wendeschleife am Bahnhof Recklinghausen stillgelegt. Unmittelbar darauf wurden die Gleise demontiert.

Am 4. Oktober 1982 wurde die Strecke zwischen Recklinghausen Hauptbahnhof und Herne Bahnhof als letzter Streckenabschnitt der Vestischen Straßenbahnen eingestellt. Die BOGESTRA führte in der Folge den Linienverkehr auf der „305“ zwischen Herne und Hustadt alleine durch. Die vollständige Einstellung des meterspurigen Straßenbahnbetriebs auf diesem Teilstück erfolgte am 2. September 1989 mit der Inbetriebnahme der normalspurigen U 35.