KRAFTVERKEHR WESTFALEN

Im Oktober 1920 hatten die Vestischen Kleinbahnen zwischen Schalke, Buer und Gladbeck ihre erste Omnibuslinie eröffnet. Währen der Besetzung des Ruhrgebiets durch belgische und französische Truppen ruhte der Omnibusverkehr. In dieser Zeit verliehen die Kleinbahnen ihre Omnibusse an ein Privatunternehmen im Münsterland. Dadurch konnte eine Beschlagnahmung der wertvollen Fahrzeuge vermieden werden.

Im Dezember 1924 wurde der Omnibusverkehr wieder aufgenommen. 1925 waren elf Linien in Betrieb. Das Liniennetz hatte eine Streckenlänge von 104,4 Kilometern.

Zeitgleich gab es auch an anderen Stellen im Ruhrgebiet Bestrebungen, einen Kraftverkehr aufzubauen. Der 1920 gegründete Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR) in Essen und die in Münster ansässige Westfälische Provinzialregierung hatten gleichwohl wenig Interesse an einem ungesteuerten Aufbau von Nahverkehrsverbindungen. Deshalb regten sie die Gründung einer Kraftverkehrsgesellschaft an, die den Omnibuslinienverkehr koordinieren sollte.

Am 7. März 1925 wurde die Gesellschaft in Dortmund als Kraftverkehrs A.-G. Westfalen (KVW) mit einem angestrebten Aktienkapital von vier Millionen Reichsmark gegründet. 60 Prozent dieses Kapitals sollte von den Gemeinden und den Gemeindeverbänden aufgebracht werden, 40 Prozent von den Verkehrsbetrieben.

Der Westfälische Provinzial Landtag genehmigte am 12. März 1925 eine Beteiligung in Höhe von 800.000 Reichsmark. Der SVR beteiligte sich mit 200.000 Reichsmark. Wie hoch die Beteiligungen der einzelnen Städte war, ist aktuell nur rudimentär bekannt. In der damaligen Tagespresse wurde über die Beteiligung von Dortmund in Höhe von 117.000 Reichsmark, Münster in Höhe von 24.000 Reichsmark und Herne in Höhe von 5000 Reichsmark berichtet.

Bis zum Ende des Geschäftsjahres 1926 traten 20 Verkehrsbetriebe dem Zweckbündnis bei. 13 Betriebe waren im Rhein-Ruhr-Gebiet ansässig, darunter die Vestischen Kleinbahnen und die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG. Sie stellten ihre Fahrzeuge und Betriebseinrichtungen in den Dienst der gemeinsamen Sache. Die Fahrzeuge der Vestischen Kleinbahnen trugen nunmehr an den Seitenwänden in Ergänzung der Eigentümerbeschriftung auch das Logo der KVW.

Auf dem Beitragsbild sehen wir einen im Linienverkehr nach Raesfeld eingesetzten Omnibus der Vestischen Kleinbahnen auf dem Marktplatz in Dorsten. Auf der Tür ist das zusätzlich Logo gut zu erkennen (Kunstanstalt Kettling und Krüger, Schalksmühle (Ausschnitt) – Sammlung Ludwig Schönefeld).

KOSTENDECKEND

Das Konzept der Kraftverkehrs A.-G. Westfalen bewährte sich. Nach einem Anfangsverlust von 32.846 Reichsmark im Jahr 1925 wurde das Unternehmen kostendeckend: 1926 wurde ein Reingewinn von 1.932 Reichsmark ausgewiesen, 1927 waren es 2.404 Reichsmark, 1928 dann 75.184 Reichsmark und 1929 schließlich 112.686 Reichsmark.

Auf der Generalversammlung im Jahr 1926 wurde in Ergänzung der AG die Gründung der Kraftverkehr Westfalen GmbH mit einem Stammkapitel von 30.000 Reichsmark vereinbart. Sie sollte als gemeinsame Einkaufsgesellschaft günstige Konditionen bei Fahrzeugherstellern und Lieferanten verhandeln.

Die Zahl der unter dem Dach der KVW eingesetzten Omnibusse (aller beteiligten Unternehmen) stieg von 117 Fahrzeugen im Jahr 1925 auf 144 Fahrzeuge im folgenden Jahr. 78 Linien bedienten täglich ein Streckennetz von 1060 Kilometern.

IM VESTISCHEN NETZ

Im Netz der Vestischen Kleinbahnen wurden insbesondere die von Datteln nach Raesfeld führende Rundlinie sowie die von Dorsten ausgehenden Linien nach Olfen und Selm, Haltern und Brambauer unter dem Dach des Kraftverkehrs Westfalen betrieben.

Im Kreis der am KVW beteiligten Verkehrsunternehmen gehörte das Unternehmen zu den besonders engagierten Gesellschaftern. Beispielhaft dafür sind erhebliche Investitionen in den Omnibusbetrieb. Am 22. Juni 1928 richteten die Vestischen Kleinbahnen in Herten die Generalversammlung der Kraftverkehrs A.-G. Westfalen aus. im Jahr zuvor hatte man ein zusätzliches Grundstück erworben, auf dem neben einer neuen Wagenhalle für den Straßenbahnbetrieb auch eine Omnibushalle und eine Omnibuswerkstatt errichtet wurden.

In der Omnibushalle gab es zudem Räume für einen öffentlichen Fahrschulbetrieb für Berufs- und Herrenfahrer, der unter der Bezeichnung „Kraftverkehr Westfalen – Vestische Fahrschule Herten“ durch die Vestische Kraftverkehrsgesellschaft eröffnet wurde. Die Geschäftsführung teilten sich der Direktor die Direktoren der Kraftverkehrs A.-G. Westfalen und der Direktor der mit 55 Prozent beteiligten Vestischen Kleinbahnen GmbH (Buersche Zeitung – 19. Mai 1927).

RÜCKZUG AUS DEM ÜBERLANDVERKEHR

1931 wurde die mit 20,7 Kilometern sehr lange, aber nur schwach frequentierte Überlandlinie von Marl über Brassert und Haltern nach Sythen aufgegeben. 1938 zogen sich die Vestischen Kleinbahnen mit der Abgabe der Linie von Datteln über Olfen nach Selm auch im nordöstlichen Verkehrsgebiet aus dem Omnibus-Überlandverkehr zurück.

1939 trennten sich die Vestischen Kleinbahnen von ihren Gesellschafteranteilen an der Kraftverkehrs-AG Westfalen. Bereits 1936 hatte man die Beteiligung an der Verkehrsgesellschaft Haltern aufgekündigt. Die Vestische Kraftverkehrsgesellschaft in Herten, die die Vestische Fahrschule betrieb, wurde 1940 aufgelöst.

IN DER NACHKRIEGSZEIT

Nach dem Zweiten Weltkrieg führte die Vestische Straßenbahnen GmbH den Omnibusbetrieb im Kernbetriebsgebiet unter der eigenen Marke weiter. Die Überlandlinien im Norden des Ruhrgebiets wurden von der Westfälischen Provinzialverwaltung unter der Bezeichnung Kraftverkehr Westfalen betrieben.

Aus der Provinzialverwaltung ging am 1. Oktober 1953 der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hervor, der fortan auch für den Betrieb der landeseigenen Verkehrsbetriebe verantwortlich war. Dazu gehörte auch die Kraftverkehr Westfalen GmbH.

Für die nachfolgende Mehrbild-Postkarte aus dem Jahr 1957 wurde ein vermutlich im Dienst des Kraftverkehrs Westfalen stehender Omnibus vor dem Empfangsgebäude des Bahnhofs Dorsten fotografiert (Verlag Heinrich Koch, Essen – Sammlung Ludwig Schönefeld). Der Inselbahnhof Dorsten – nicht zu verwechseln mit dem benachbarten Turmbahnhof Hervest-Dorsten – wurde 1880 zwischen der Strecke Duisburg – Quakenbrück der ehemaligen Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft und der der Strecke Zutphen (Niederlande) – Borken der ehemaligen Niederländisch-Westfälischen Eisenbahn errichtet. Heute steht das historische Bahnhofsgebäude unter Denkmalschutz.

Bitte klicken Sie auf das Bild, um den Omnibus im Detail anzusehen!

WESTFÄLISCHE VERKEHRSGESELLSCHAFT

Am 1. Januar 1970 wurde die Verkehrsabteilung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, zu der damals 13 Eisenbahn- und Omnibusbetriebe zählten, in die Westfälische Verkehrsgesellschaft mbH (WVG) eingebracht. Sie war jetzt für die Betriebs- und Geschäftsführung der Kraftverkehr Westfalen GmbH (KVW) verantwortlich.

Als die Westfälische Landeseisenbahn (WLE) am 27. September 1975 den Personenverkehr auf der Schiene einstellte, übernahmen Omnibusse der Kraftverkehr Westfalen GmbH, an dem die WLE als Gesellschafterin beteiligt war, den öffentlichen Personennahverkehr in Lippstadt. Aus dieser Zeit stammen die nachfolgend gezeigten Fahrscheine (Sammlung Ludwig Schönefeld). Ob sie auch in den an das Betriebsgebiet der „Vestischen“ angrenzenden Linien ausgegeben wurden, ist nicht bekannt.

REGIONALVERKEHR MÜNSTERLAND

Nach dem Abschluss der Gebietsreform von 1975 wurde das Verkehrsgebiet der Westfälischen Verkehrsgesellschaft in fünf, jeweils als eigenständige GmbH aufgestellte Betriebe aufgeteilt. Der Einzugsbereich der ehemaligen Omnibuslinien der Vestischen Kleinbahnen gehörte seither überwiegend zum Verkehrsgebiet der Regionalverkehr Münsterland GmbH (RVM).

Als Folge der EU-Richtlinien für die Vergabe von Konzessionen im öffentlichen Personennahverkehr gibt es im Regionalverkehr des südlichen Münsterlandes heute mehrere Player. Neben den aus Post- und Bahnbus hervorgegangenen Regionalgesellschaften Busverkehr Rheinland GmbH und Westfalenbus GmbH erreichen nach wie vor auch einige Omnibuslinien der Vestischen Strassenbahnen das südliche Münsterland.

Bitte um Mithilfe:
Über den Kraftverkehr Westfalen wurde in der Literatur bisher nur wenig veröffentlicht. Wenn Sie Angaben über die vom KVW eingesetzten Omnibusse machen können oder Details zum Betriebsablauf kennen, würde ich mich über eine Mitteilung sehr freuen:

webmaster[at]vestischer-nahverkehr.de