NACH RECKLINGHAUSEN
CRANGE UND WANNE

Nach dem erfolgreichen Abschluss des Gesellschaftsvertrages zum Bau der Straßenbahn Recklinghausen – Herten – Wanne begannen im Laufe des Jahres 1900 die Bauarbeiten für die 12,8 Kilometer lange Strecke vom Steintor in Recklinghausen zum damaligen Wanner Bahnhof. Am 10. Mai 1901 konnte die neue Verbindung eröffnet werden.

Die oben gezeigte historische Postkarte zeigt die Endhaltestelle der Straßenbahn in Recklinghausen im Sommer 1905. Der historische Ortskern ist zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend vorhanden. Bereits kurze Zeit später wurden die meisten Gebäude abgebrochen, um Platz für den Ausbau der Straßen zu schaffen (Verlag Paul Caspar, Bochum – Sammlung Ludwig Schönefeld).

Auf dem Weg nach Wanne fuhr die Straßenbahn zunächst durch das Gebiet der Gemeinden Hochlar und Disteln nach Herten. Dort wurde an der Clemensstraße der Betriebshof der Bahn gebaut. Über die Provinzialstraße erreichte die Straßenbahn die Gemeinde Crange. Ein wichtiger Halt auf diesem Teilstück war die 1872 abgeteufte Schachtanlage Ewald.

Im Süden des ehemaligen Dorfkerns von Crange, in dem sich die erste Ausweiche im Amt Wanne befand, überquerte die Straßenbahn die Emscher. Der Fluss lief unmittelbar an der noch heute erhaltenen Cranger Schule entlang. Die Emscherbrücke wurde damals als Fleutebrücke bezeichet. Nach kurzer Fahrt erreichte die Bahn die Kreuzung mit der damaligen Dorstener Straße. Im weiteren Verlauf folgte die Trasse der Wanner Bahnhofstrasse bis zu ihrer Endstelle am Bahnhof Wanne. Dabei lag das Gleis zumeist in der Straßenmitte.

AUS EINER ANDEREN ZEIT

Aus der Anfangszeit der Straßenbahn Recklinghausen – Herten – Wanne sind nur wenige Originaldokumente erhalten. Umso seltener ist ein in Frankreich erhalten gebliebener Fahrschein, der zwischen 1901 und 1907 ausgegeben wurde.

Der Tarif stieg in 5-Pfennig-Schritten von 5 Pfennig für eine Zahlgrenze bis zu 50 Pfennig für die Gesamtstrecke mit elf Zahlgrenzen. Der günstigste Fahrschein wurde für zwei Zahlgrenzen, somit für 10 Pfennig ausgegeben. Der nachfolgend gezeigte, nicht entwertete 15-Pfennig-Fahrschein (Sammlung Ludwig Schönefeld) war der mit Abstand am häufigsten verkaufte Fahrschein. Er berechtigte zu einer Fahrt über drei Zahlgrenzen. Das entsprach im Durchschnitt einer Strecke von 3,61 Kilometern.

ZUM BAHNHOF RECKLINGHAUSEN

Am 27. März 1907 konnte die Straßenbahnstrecke vom Steintor bis zum Bahnhof Recklinghausen der 1870 eröffneten Köln-Mindener Eisenbahn weitergeführt werden. Auf dem Weg vom Steintor zum Bahnhof passierte die Straßenbahn die 1909 eröffnete Feuerwache (Herzogwall 31), die historische Stadtmauer und das 1901 errichtete Kreishaus (Herzogwall 17), das heute die Volkshochschule beherbergt.

An der Haltestelle vor dem Kreishaus entstand 1909 das Postkartenmotiv des Triebwagen 9. Er ist auf dem Weg vom Steintor zum Lohtor (Kunstverlag G. Thien, Elberfeld – Sammlung Ludwig Schönefeld). Vom Lohtor wurde über die Wicking Straße der Bahnhofsvorplatz erreicht.

Durch das neue Teilstück wuchs das Streckennetz um rund 1,2 Kilometer.

Neben den Triebwagen der 1901 gelieferten Anfangsausstattung der Straßenbahn Recklinghausen – Herten – Wanne konnte der Betriebshof Herten schon bald größere und modernere Fahrzeuge einsetzen. Dazu gehörten insbesondere die 1907 von der Hamburger Waggonfabrik Falkenried gelieferten Triebwagen 11 bis 24. Der zuletzt gelieferte Triebwagen 24 war 1909 zwischen dem Hauptbahnhof Recklinghausen und der Endstelle Buer-Erle im Einsatz. Auch er wurde in der Ausweiche vor dem Kreishaus fotografiert (Verlag Gebrüder Heberlein, Zwickau – Sammlung Ludwig Schönefeld).

LINIE 1

Eine wichtige Zäsur für Strecke nach Wanne war die Eröffnung der Neubaustrecken nach Suderwich und Erkenschwick am 7. April und 19. Dezember 1909. Ausgangspunkt der neuen Strecken war die Endstelle am Bahnhof.

Die drei Strecken wurden anfangs als eigenständige Linien betrieben. Nach der Eröffnung der Streckenergänzung von Erkenschwick nach Datteln am 31. Mai 1913 wurden die Linien nach Wanne und Erkenschwick / Datteln zu einer durchgehenden Linie verbunden. Parallel dazu wurden Liniennummern eingeführt. Die nunmehr durchgehende Verbindung von Wanne nach Datteln erhielt die Liniennummer 1, die Linie von Recklinghausen nach Suderwich erhielt die Liniennummer 3.

Schon bald wurde der Langlauf wieder aufgegeben – vermutlich im Zusammenhang mit der Eröffnung des neuen Betriebshofes in Recklinghausen am Hiller Weg (heute Castroper Straße) am 5. Oktober 1913.

ZUM BAHNHOF WANNE

Im Zusammenhang mit dem Bau des Rhein-Herne-Kanals erhielt die Straßenbahn in Crange in den Jahren 1910 und 1911 eine neue Streckenführung. Im Detail berichte ich darüber im Kapitel „KANAL UND HAFEN“ auf meiner Herner Website.

Ein weiteres städtebaulich bedeutendes Projekt war der Neubau des Bahnhofs Wanne in den Jahren 1911 bis 1913. Dieser ging einher mit einer Höherlegung und weitgehenden Umgestaltung der Gleisanlagen der Staatsbahn, aber auch mit der Verlegung der Endstellen und dem Umbau der Gleisanlagen der Straßenbahn. Für diese wurde eine neue, großzügig angelegte Endstellenanlage vor dem neuen Bahnhofsgebäude geschaffen.

Die entsprechenden Straßenbauarbeiten begannen bereits 1909 im Bereich des Glückaufplatzes. Die Endstelle der Linie 1 wurde in dieser Zeit vermutlich in die Bahnhofstraße zurückgezogen. Am 29. September 1913 war die Gleisanlage vor dem bereits am 19. Juni 1913 eröffneten Bahnhofsgebäude fertiggestellt. Die Straßenbahn Recklinghausen – Herten – Wanne war die erste Gesellschaft, die die neue Endstelle über die eigens angelegte Neubaustrecke von der Bahnhofstraße über die Amtmann-Winter-Straße anfuhr.

Auch zum Bahnhofsneubau sowie zur Abwicklung des Straßenbahnbetriebes am Bahnhof Wanne berichte ich im Detail auf meiner Herner Website im Abschnitt „ZUM NEUEN BAHNHOF“.

GEMEINSCHAFTSVERKEHR

Am 1. April 1926 entstand aus den vormals selbständigen Ämtern Wanne und Eickel die neue Stadt Wanne-Eickel mit rund 90.000 Bürgerinnen und Bürgern. Bereits im Vorfeld hatte man im Rahmen der Verkehrsplanung des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk (SVR) die Einrichtung von Straßenbahn-Gemeinschaftslinien der zuvor konkurrierenden Verkehrsbetriebe forciert, um die Siedlungsräume im Ruhrgebiet besser als zuvor miteinander zu vernetzen und gleichzeitig Kosten zu sparen.

Als Gemeinschaftsverkehr der Vestischen Kleinbahnen GmbH und der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG (BOGESTRA) wurde die kurze Linie 11 eingeführt. Ihr Linienweg führte im 20-Minuten-Takt von der Ausweiche „Unser Fritz-Straße“ in der nördlichen Hindenburgstraße (zuvor Bahnhofstraße) bis zum Eickeler Markt. Später wurde die Ausweiche in der Hindenburgstrasse in Eickel zum Umsetzen der Wagen genutzt. Die Fahrzeuge stellte vermutlich ausschließlich die BOGESTRA. Der zur Durchführung der Linie an der Amtmann-Winter-Straße notwendige doppelgleisige Abzweig wurde demgegenüber von den Vestischen Kleinbahnen gebaut und angelegt.

Bereits 1925 wurde die Trasse der Linie 1 auch in Herten ertüchtigt, in dem die Ewaldstraße zwischen einschließlich des Abzweigs in die Herner Straße an der Haltestelle „Brauckmann“ zweigleisig ausgebaut wurde. Demgegenüber verzichtete man, vermutlich aufgrund der knappen finanziellen Mittel, auf einen zweigleisigen Ausbau der Ewaldstraße bis zur Emscherbrücke in Crange, obwohl ein eigener, schellbahnähnlich ausgebauter Bahnkörper dort bereits seit 1910/11 vorgesehen war.

LINIE 7

Der Gemeinschaftsverkehr wurde am 1. April 1930 aufgegeben. Als Ablösung der Linie 11 wurde zeitgleich die von der Vestischen Kleinbahnen GmbH betriebene Linie 7 eingeführt. Anfangs verstärkte sie die Linie 1 zwischen dem Hauptbahnhof in Wanne-Eickel und einer neu angelegten Ausweiche in der Dorstener Straße in Höhe der Wirtschaft Abenhard. Einen Monat später, am 20. Mai 1930 wurde ihr Linienweg im Norden über die Strecke der Linie 1 bis zur Kaiserstraße in Herten geführt und von dort über Langenbochum und Scherlebeck bis Recklinghausen Hauptbahnhof.

Das Gleisdreieck an der Einmündung der Amtmann-Winter-Straße wurde bereits 1938 zurückgebaut. Die Weichen und die Gleise wurden an anderer Stelle im Netz der Vestischen Kleinbahnen weiterverwendet.

LINIE 1 E

Am 14. Februar 1934 erhielt die Linie 7 ab Herten einen neuen Linienweg, der sie nunmehr über Hochlarmark an die Grenze von Recklinghausen-Süd führte. Die Nachfolge der Linie 7 als Verstärker der Linie 1 trat am 14. Februar 1934 die Linie 1 E an.

Die Linie 1 E bestand bis Anfang der 1950er-Jahre. 1952 wurde sie bis zum Waldfriedhof an der Stadtgrenze nach Herten verlängert, sodass den Fahrgästen in Wanne-Eickel wie zuvor mit der Linie 7 im Wechsel mit der halbstündlich verkehrenden Linie 1 ein 15-Minuten-Takt angeboten werden konnte. Ab Herten wurde die Linie 1 durch die Linie 10, die Anfang der 1950er-Jahre auf der Relation Recklinghausen Hauptbahnhof – Disteln – Herten – Resse – Buer – Bahnhof Gladbeck Ost verkehrte. Alternativ konnte man mit der Linie 7 über Langenbochum und Scherlebeck nach Recklinghausen fahren.

Mit dem Fahrplanwechsel am 2. Oktober 1955 verschwand die Linie 1 E aus dem Stadtbild Wanne-Eickels. Der Takt der „1“ wurde entsprechend verstärkt.

NOCH ZWANZIG JAHRE

Die Linie 1 fuhr noch weitere 20 Jahre von Herten nach Wanne-Eickel. Im Zuge einer Neugestaltung des Stadtbildes zwischen der Bahnhofstraße und dem Bahnhofsvorplatz wurden die Gleise in der Amtmann-Winter-Straße am 29. April 1961 durch eine neue Trassenführung über die Straße Am Buschmannshof geändert. Heute befindet sich hier ein moderner Omnibusbahnhof. Die Gleisanlage am Bahnhof Wanne-Eickel wurde durch die Ergänzung einer Wendeschleife für den Einsatz von Einrichtungswagen auf der Bochumer Linie 6 ertüchtigt.

Auch in Herten und Recklinghausen gab es Veränderungen. Zwischen 1963 und 1965 wurde die Ewaldstraße in Herten zwischen dem Abzweig Herner Straße und der Einmündung der Nimrodstraße zweigleisig ausgebaut. Damit wurde eine zuvor betrieblich kritische Engstelle beseitigt. Ab dem 27. Mai 1969 fuhr die Linie 1 über die langjährige Endstelle am Recklinghausener Hauptbahnhof hinaus bis zur neuen Endstelle Nordcharweg.

AUSLAUFBETRIEB

Etwas mehr als ein Jahr später, am 16. August 1970 folgte die Einstellung des Straßenbahnbetriebs zwischen Herten Herner Straße und Wanne-Eickel. Die Zufahrt zur Hauptwerkstatt Herten über die Ewaldstraße blieb somit erhalten.

Bitte lesen Sie in Fortsetzung dieses Kapitels das Kapitel über die Strecke
von Herten nach Buer!